Gartentherapie – Zurück zur Natur
Auch im Stadtfeld an der Schrote oder im Glacis ist sinnstiftende Naturerfahrung möglich.
Ich treffe die im Stadtfeld ansässige Gartentherapeutin Joana Obenauff auf der Streuobstwiese. Sie hat diesen Ort vorgeschlagen, weil der Platz für eine „Gartentherapie“ prädestiniert ist.
Mein Stadtfeld: Frau Obenauff, in meinen Interviews mache ich gerne kleine Rollenspiele, weil das ein guter Weg ist, Ihrem Thema praktisch näher zu kommen. Ich bin Ihr „Kunde“, Sie die Gartentherapeutin. Ist das okay?
Joana Obenauff: Tja… (überlegt kurz) … okay, gerne, mal sehen, wie es funktioniert.
Prima. Ich bin 59 Jahre alt, habe seit einigen Jahren Motivationsprobleme privat und im Beruf des Maschinenbauingenieures. Ein Freund meinte, das hätte manchmal depressive Züge, ich solle etwas dagegen machen. Ich würde mich aber am liebsten verkriechen. Können Sie mir helfen?
Ihr Beruf ist ja durch die Technik weit weg von der Natur, deswegen kann die Hinwendung zur Natur helfen. Gartentherapie wirkt gerade bei depressiven Gefühlen, Burn-out-Symptomen, aber auch, wenn man neue Aufgaben sucht. Man kann immer in den Garten gehen, ohne Erwartungen, die an einen gestellt werden, ohne Druck von außen, er ist immer da, freundlich zu einem.
Na, da habe ich aber in meiner Kindheit andere Erfahrungen gemacht. Da kam immer Druck und Zwang von meinem Vater zur Gartenarbeit. Garten ist bei mir erstmal negativ besetzt. Meinen Sie, das hätte bei mir wirklich Sinn?
Auf alle Fälle, weil Gartentherapie nicht immer nur mit Gartenarbeit zu tun haben muss, mit pflegen und säen usw., sondern Gartentherapie kann auch schon mit einer Zimmerpflanze beginnen. Mit dem Betrachten von Pflanzen, mit dem Aufenthalt in der Natur und Spazierengehen. Man muss also nicht mit der Gartenarbeit loslegen, sondern sich der Natur auf entspannte Weise annähern.
Wenn ich hier auf der Streuobstwiese herumlaufe, müsste es mir schon besser gehen? Das ist schon die Therapie?
Kommt darauf an, je nachdem wie weit man von seinen natürlichen Wurzeln, von der Natur entfernt ist, und ob man noch Andockpunkte hat, wie Zimmerpflanzen oder Balkonkästen, oder schon öfter draußen ist. Dann kann man mit wenig Anleitung von mir eigene Impulse selber verstärken. Wenn man gar nichts mit Natur und Garten anfangen kann, macht es Sinn, Impulse dafür von außen zu bekommen, um zu einem bestimmten Ziel zu kommen.
Ich sehe dort die schöne Tanne. Soll ich die umarmen, geht es mir dann gleich schon besser?
Wenn man Bäume umarmt, kann es schon sein, dass die Leute etwas komisch gucken. Um besser drauf zu sein oder besser runter zu kommen, ist zum Beispiel einfaches Barfußlaufen auf einer Wiese hilfreich, weil wir dann eine direkte Verbindung zur Erde haben, wo ein Ionenaustausch stattfindet, dadurch positive Ladung an den Erdboden abgegeben wird und man dadurch neutraler, ausgeglichen wird. Das allein steigert schon die Stimmung, wie auch überhaupt das draußen sein selbst, frische Luft, Sonne …
Ionenaustausch…? Da passiert nicht nur spirituell oder psychisch etwas mit mir, sondern auch physisch und physikalisch?
Ganz genau, das mit den positiven Auswirkungen beim Barfußlaufen ist nachgewiesen. Vielleicht kennen Sie auch „Waldbaden“, oder auch Shinrin Yoku, wie es japanisch genannt wird, das auch in Deutschland und in Europa immer bekannter wird. Da gibt es japanische Studien, die die positiven Wirkungen auf Blut, Blutdruck, Muskelentspannung, Atmung und sogar auf Killerzellen festgestellt haben.
Was wären denn ein guter Gartentherapieort im Stadtfeld, wenn man selbst keinen Garten hat?
Da wäre die Goetheanlage, also entlang der Schrote bis Diesdorf, wo auch rechts und links die Kleingärten sind, oder das Glacis.
Wie muss ich mir das praktisch vorstellen, so eine Gartentherapie mit Ihnen, oder weiß ich jetzt schon alles?
Wir würden ein ausführliches vertrauliches Gespräch führen, wer Sie sind, was Sie möchten, welche Symptome haben Sie, was Ihr Ziel ist, was liegt Ihnen gerade auf der Seele und so weiter.
Welche Ziele ich habe?… Das hört sich fast wie „Coaching“ an.
Ich mache das nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe mit Ihnen. Wir formulieren Ziele auch gemeinsam, mir soll es ja nicht besser gehen, sondern Ihnen.
Sie sind ja auch studierte Freiraum- und Landschaftsplanerin. Mir kommt das alles etwas spirituell und esoterisch vor. Passt das denn überhaupt mit Ihrem bodenständigen Beruf zusammen?
Auf alle Fälle (lacht), das passt gut zusammen.
Ihr Name „Obenauff“ – nomen est omen – zeigt ja, dass Sie gut drauf sind. Ich mit meinen depressiven Verstimmungen, wenn ich hier an einem regnerischen, nasskalten grauen Januartag so auf die laublosen, etwas verkrüppelten Bäume sehe, steigt meine Stimmung nicht gerade.
Doch, doch, Gartentherapie passt da, glauben Sie mir, Sie werden sehen, dass Ihnen das auch hilft. Die Natur ist der artgerechte Lebensraum für den Menschen. Wir reden immer über artgerechte Tierhaltung und vergessen uns selbst oft dabei. Ich bin auch ökologische Gartenberaterin. Dem Garten und dem Menschen muss es gleicherweise gut gehen. Dass ist die Basis, eben die Natur.
Ist ein Garten nicht immer Natur?
Im Prinzip ja, … (zögern) … lassen wir die Rasen- und Schotterwüsten mal außen vor, da, wo der Rasenroboter das einzige „Lebewesen“ ist.
… das käme mir doch als Maschinenbauer samt Stahlzaun sehr entgegen. Ich muss gestehen, Zimmerpflanzen habe ich auch nicht. Sie ahnen wahrscheinlich, warum. Eine Gartentherapie hätte bei mir trotzdem eine Chance?
Wir fangen einfach an. Ich bringe getrocknete Materialien mit, meist Blüten, Blätter und Kräuter, wir gehen auf die Suche in der natürlichen Umgebung und entdecken zum Beispiel Wildkräuter zu jeder Jahreszeit. So entwickelt sich dann wieder Ihr Blick vom Groben hin zum Kleinen. Ihre Sinne, Ihre Augen für diese Art der Natur öffnen sich, macht Sie selbst sensibler, achtsamer.
Okay, wie fangen wir an?
Wir machen einen ersten Termin, wie vorhin schon beschrieben. Machen dann beim nächsten Treff einen Gang durch einen Garten, Park oder Waldstück. Wir sprechen, schauen, entdecken zusammen, machen Pausen, um alles wirken zu lassen, mit sanften Hinweisen von mir. Wir nehmen etwas mit, wie diese reifen Hagebutten hier zum Beispiel, um so auch in unserem „anderen“ Leben eine Erinnerungsbrücke zu haben, dass man selbst auch ein Stück Natur ist, sich wieder in diese Achtsamkeit herein gibt.
Okay, dann machen wir einen Termin. Zahlt die Krankenklasse eigentlich für so eine Therapie?
Nein, aber in anderen Ländern, wie zum Beispiel in der Schweiz und Österreich ist die Gartentherapie schon viel verbreiteter als hier, und in Amerika gibt es dazu schon spezielle Hochschulstudiengänge. Es treten aber auch Seniorenheime und Kliniken an mich heran, um Gartentherapien unterstützend einzusetzen. In der Regel reichen ein paar Stunden, dann kann die angeleitete Person im wahrsten Sinne des Wortes alleine im Garten, Park oder Wald laufen.
Weitere Informationen zur Gartentherapie und zur ökologischen Gartenberatung sowie Linderung von Spannungen und innerem Druck durch angeleitere Natur-Sensibilisierung finden Sie auf der Homepage von Joana Obenauff unter www.wurzelglueck.de.
Herbert Beesten